Aktuelle Trends im Zahlungsverkehr – Interview mit Markus Nenninger
Markus Nenninger leitet bei msg GillardonBSM den Geschäftsbereich IT Consulting Payments. Er blickt auf mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Finanzdienstleistungsbranche und dem Zahlungsverkehr zurück. Im Interview gibt er uns einen spannenden Einblick, wie die Welt der Payments in der Zukunft aussieht.
- Was genau begeistert dich am Zahlungsverkehr?
- Was sind die spannendsten Entwicklungen und aktuell größten Trends im Zahlungsverkehr?
- Haben die Banken die digitale Trendwende im Zahlungsverkehr verschlafen?
- Wollen die Banken den Zahlungsverkehr zurückgewinnen?
- Wie können traditionelle Geldhäuser Marktanteile halten oder zurückgewinnen?
- Welche konkreten Maßnahmen siehst du?
- Ist die EPI der richtige Schritt der europäischen Banken?
- Die PSD2 zwang die Banken XS2A-APIs für Drittanbieter bereitzustellen. Wie hat sich der Markt seitdem entwickelt und was ist die nächste Stufe?
- Wird der Auslandszahlungsverkehr zukünftig noch bestehen?
- Der Anteil der SEPA-INST-Transaktionen an den SEPA-Überweisungen liegt nur bei 6,47 %. Warum?
- Woran liegt das?
- Wie entwickelt sich der Zahlungsverkehr in der nächsten Dekade?
Markus Nenninger leitet bei msg GillardonBSM den Geschäftsbereich IT Consulting Payments. Der Diplom-Informatiker blickt auf mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Finanzdienstleistungsbranche und dem Zahlungsverkehr zurück. Er besitzt langjährige Erfahrung in internationalen und komplexen Transformationsprojekten für namhafte Finanzdienstleister, wie beispielsweise UniCredit, Siemens FS, BMW FS, BayernLB, Helaba, Caceis und Sky. Markus Nenninger ist zertifizierter Senior Projektmanager nach IPMA und Mitglied des Frankfurt Payments Network.
Erst im Januar referierte er in einer Schulung über die Trends im Zahlungsverkehr. Glücklicherweise hatte er im Anschluss noch Zeit für ein kurzes Gespräch mit uns zu dem Thema. In diesem Blogbeitrag erhaltet ihr spannende Einblicke, wie Markus die Welt der Payments in der Zukunft sieht.
Das Interview fand im Februar 2021 statt.
Übrigens, wir duzen uns bei msg GillardonBSM über alle Hierarchien hinweg und behalten dies auch bei unseren Interviews mit Kolleginnen und Kollegen bei.
Hallo Markus, du bist seit vielen Jahren im Zahlungsverkehr tätig und leitest bei msg GillardonBSM den Geschäftsbereich Payments. Was genau begeistert dich so am Zahlungsverkehr?
Mich begeistert am Zahlungsverkehr vor allem, dass er einerseits eine essentielle Grundfunktion im Banking und für unsere Wirtschaft darstellt, und gleichzeitig im Zentrum der Digitalisierung der Finanzwirtschaft steht. Hier bündelt sich die Innovationskraft ganz unterschiedlicher Player wie Banken, Fintechs, BigTechs, Payments Service Providerns und Zentralbanken in ganz besonderer Weise.
Der europäische Zahlungsverkehr bewegt sich in einem hochdynamischen Umfeld - neue Standards, neue Technologien, neue Player im Markt und stetig sich verändernde Kundenbedürfnisse. Was sind aus deiner Sicht die spannendsten Entwicklungen und aktuell größten Trends im Zahlungsverkehr?
Eine der spannendsten Entwicklungen ist für mich der Eintritt der Non-Banks in den Zahlungsverkehrsmarkt. Durch den Einstieg ganz neuer Player in den Markt entstehen vollkommen neue Ideen, neue Technologien und neue Geschäftsmodelle. Eine weitere spannende Entwicklung ist die digitale Globalisierung des Zahlungsverkehrs über weltweite Standards, wie beispielsweise durch ISO 20022 und SWIFT gpi. Der Zahlungsverkehr orientiert sich immer stärker an den Bedürfnissen der Endkunden und erfüllt immer mehr den Wunsch der Menschen nach Everyone, Anytime and Anywhere. Wir sehen hier wie international komplett neue digitale Ökosysteme entstehen.
Gerade im Zahlungsverkehr drängen viele neue Player, wie FinTechs und Tech-Unternehmen mit einem innovativen Leistungsangebot, auf den Markt. Mittlerweile haben fast alle großen Tech-Unternehmen wie Apple, Google, Facebook und Amazon eigene Online-Payment-Systeme. Haben die Banken die digitale Trendwende im Zahlungsverkehr verschlafen?
Teilweise sicherlich. Der Zahlungsverkehr fristete in der Vergangenheit bei vielen Banken lange ein Schattendasein, da er im Vergleich zu anderen Bereichen wie beispielsweise M&A oder Investment Banking margenarm ist. Mittlerweile haben aber die Banken vor dem Hintergrund der geoökonomischen Entwicklungen erkannt, dass Zahlungsverkehr ein stabiler Ertragsanker sein kann und der Zahlungsverkehr zum Kerngeschäft der meisten Banken gehört. Am Ende hängt an ihm tatsächlich oft die Kundenbeziehung. Der Zahlungsverkehr lässt sich relativ leicht digitalisieren und skalieren. Dafür müssen die Banken jedoch ihre Geschäftsmodelle, Infrastrukturen und Prozesse weiterentwickeln. Für viele Banken ist das eine große Herausforderung
Wollen die Banken den Zahlungsverkehr überhaupt wieder zurückgewinnen?
Das Interesse der Banken ist deutlich erkennbar. Die Banken investieren wieder verstärkt in den Zahlungsverkehr und beteiligen sich an einer Reihe großer Industrie-Initativen wie ISO 20022, Instant Payments, SWIFT gpi oder der European Payments Initative (EPI).
Was denkst du: Wie können traditionelle Geldhäuser den Veränderungen gegenwirken und Marktanteile halten oder vielleicht sogar zurückgewinnen?
Entscheidend ist, den Zahlungsverkehr ohne Kompromisse an den Kunden auszurichten. Die Kunden erwarten vom Zahlungsverkehr 100 % digitale Services, die Sicherheit, Zuverlässigkeit, Schnelligkeit, Nutzerfreundlichkeit und geringe Kosten bieten. Aber Marktanteile im engeren Sinne zurückgewinnen wird für die Banken sehr schwer. Das Gute ist jedoch, dass der Markt weltweit 2-stellig wächst und dadurch für alle der Kuchen größer wird. Man kann auch sein Geschäft ausbauen, ohne prozentuale Marktanteile zu gewinnen.
Welche konkreten Maßnahmen siehst du?
Wichtig ist, dass Banken ihre Geschäftsmodelle umstellen und auf digitale, globale Ökosysteme aufbauen. Dazu gehört unter anderem Spezialisierung, Internationalisierung, Digitalisierung und schnelle Anpassungsfähigkeit.
Der Retail-Zahlungsverkehr wird in Europa von US-Unternehmen wie Visa, Mastercard, PayPal und ApplePay dominiert. Europa besitzt dadurch im Zahlungsverkehr eine gefährliche Abhängigkeit von den USA. Mit der "European Payments Initiative" EPI möchte die EU die europäische Payments-Souveränität ausbauen. Ist das der richtige Schritt der europäischen Banken?
Die EU hat erkannt, dass im Zahlungsverkehr die Abhängigkeit von großen ausländischen Playern zu groß geworden ist – besonders den USA. Das wird auch in der “European Retail Strategy” klar angesprochen. EPI ist wahrscheinlich die letzte Chance der EU-Banken hier ein Stück Unabhängigkeit von US-amerikanischen Payment Providern zurückzugewinnen. Insofern gibt es keine Alternative, außer man fügt sich dauerhaft in diese Abhängigkeit. Die Hoffnung ist, dass die europäischen Banken, die EZB und auch die europäischen PSPs sowie Händlerorganisationen die geopolitische Bedeutung begreifen und die gemeinsame Vision mittragen.
Am 14.09.2019 zwang die PSD2 die Banken XS2A-APIs für Drittanbieter bereitzustellen. Wie hat sich der Markt seitdem entwickelt und was ist aus deiner Sicht die nächste Stufe?
Der Anfang verlief ja recht holprig. Die FinTechs als Third-Party-Provider und Banken harmonierten anfangs nicht wirklich, sodass die BaFin als Schiedsrichter auftreten musste. Mittlerweile läuft die Zusammenarbeit besser. Die Parteien haben verstanden, dass sie sich gegenseitig ergänzen und Symbiosen schaffen können, anstatt in Konkurrenz zu stehen. Wir sehen mittlerweile vielfältige Kooperationsformen zwischen den Banken und Drittanbietern. Jede namhafte Bank versucht zur Zeit ein eigenes Ökosystem mit FinTechs aufzubauen. Wir sehen auch, dass verstärkt Non-Banks in den Markt eintreten, wie beispielswiese die Allianz mit HeyMoney. Als nächste Entwicklung sehen wir jedoch nicht die PSD3, sondern die “Open Data Initiative” der EU. Die EU möchte mit der “Open Data Initiative” die Idee von Open Banking, die mit der PSD2 das erste Mal umgesetzt wurde, auf die gesamte Wirtschaft ausgedehnt wird. Das bedeutet wiederum, dass letztlich alle Branchen in der EU offene APIs zur Verfügung stellen müssen, um Drittanbietern die Nutzung dieser Daten zu ermöglichen, im Sinne der Endkunden sowie der Verbraucher.
Sehr spannend. Wir dürfen also weiter gespannt bleiben, was Open Banking noch mit sich bringen wird. Nun zum Thema Auslandszahlungsverkehr. SWIFT stellt mit CBPR+ im Korrespondentbankengeschäft auf ISO 20022 um. Gleichzeitig bringen jedoch neue Anbieter wie TransferWise oder Ripple neue digitale Lösungen als Alternative für den Auslandszahlungsverkehr auf den Markt. Wird der Auslandszahlungsverkehr, so wie wir ihn heute kennen, zukünftig überhaupt noch bestehen?
Da kann ich nur sagen, ich hoffe nicht. Denn der traditionelle Auslandszahlungsverkehr ist einfach aus der Zeit gefallen. Das Konzept basiert im Grunde noch auf dem Postwesen des 19. Jahrhunderts. Eine grundlegende Modernisierung und Digitalisierung ist absolut notwendig. Beispielsweise dauert eine Zahlung zwischen Deutschland und den USA auch heute noch Tage, im manchen Fällen sogar mehrere Wochen. Das ist in unserer globalen digitalen Ökonomie natürlich nicht mehr akzeptabel. Gerade im Auslandszahlungsverkehr sehen wir sehr viele Initiativen, um auch den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr transparent, kostengünstig und in Echtzeit abwickeln zu können. Beispiele hierfür sind SWIFT gpi, Ripple oder Transferwise.
Instant Payment soll "the new normal" werden und die Grundlage für eine gesamteuropäische Zahlungslösung sein. Der Anteil der SEPA-INST-Transaktionen an den SEPA-Überweisungen liegt jedoch nur bei 6,47 %. Warum sind die Entwicklungen so träge?
Die Entwicklung ist so träge, weil ein Teil der Banken noch gar kein hohes Interesse daran haben, Instant Payment zu pushen.
Woran liegt das?
Sobald der Anteil an Instant Payments wächst, werden bei vielen Banken, hohe Investitionen in die Infrastrukturnotwendig Selbst bei den Banken, die Instant Payment jetzt schon eingeführt haben. Von diesen habenviele Instant Payments mit technologisch eher einfacheren Mitteln umgesetzt, die nicht skalierbar und nicht für hohe Volumen geeignet sind. , Und damit Instant Payment eine breite Akzeptanz findet, wäre es außerdem auch notwendig auf Gebühren zu verzichten, Dazu können sich viele Banken noch nicht durchringen, weil sie ja gleichzeitig hohe Investitionen tätigen müssten. Letztlich werden auch hier werden die EU und die EZB eingreifen und SEPA Instant Payments für alle SEPA-Teilnehmer verpflichtend verordnen.
Wie entwickelt sich der Zahlungsverkehr deiner Meinung in der nächsten Dekade für die verschiedenen Player im Markt (Banken, BigTechs, FinTechs, Kunden, …)?
Der Zahlungsverkehr wird noch vielfältiger, noch digitaler, noch globaler sein. Es wird immer mehr Spezialanbieter für bestimmte Zahlungsverkehrsdienstleistungen geben. Für den Verbraucher wird der Zahlungsverkehr immer mehr an Sichtbarkeit verlieren. Der Zahlungsvorgang selbst wird immer mehr in den Hintergrund rücken und sich immer nahtloser in die Geschäftsprozesse einfügen. Spannend wird auch sein, wie die Kryptowährungen und die Central Bank Digital Currencies zu einem globalen „Game Changer“ werden. Leider zeigt meine Glaskugel hier noch keine so klaren Bilder. Aber um Victor Hugo zu zitieren: „Nichts ist stärker als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“
Markus, vielen Dank für deine Sichtweisen zu den aktuellen Trends im Zahlungsverkehr und danke, dass du dir die Zeit genommen hast, sie mit uns und unseren Lesern hier auf unserem Blog zu teilen. Alles Gute und bleib gesund!
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