„Meine Präferenz ist eindeutig das Roll-over-Darlehen.“
(NEWS 04/2023)
In einem Interview zum Thema „Kalkulation und Steuerung variabler Darlehen“ hat Monika Heiler, Abteilungsleitung MARZIPAN, msg for banking ag, mit Prof. Dr. Konrad Wimmer, Executive Partner Research & Strategische Themen, msg for banking ag und langjähriger Gutachter, über seine kritische Sicht auf variable Darlehen, juristische Fragestellungen und über das Roll-over-Darlehen als gangbare Alternativen gesprochen.

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Collection öffnenVariable Darlehen werfen immer wieder fachliche Fragen auf, da die Kalkulations- und Steuerungsmethodik diesem Produkt in mehrfacher Hinsicht nur bedingt gerecht werden kann.
In einem Interview zum Thema „Kalkulation und Steuerung variabler Darlehen“ hat Monika Heiler, Abteilungsleitung MARZIPAN, msg for banking ag, mit Prof. Dr. Konrad Wimmer, Executive Partner Research & Strategische Themen, msg for banking ag, und langjähriger Gutachter, über seine kritische Sicht auf variable Darlehen, juristische Fragestellungen und gangbare Alternativen gesprochen.
Guten Tag, Konrad. Schön, dass du dir die Zeit für unser Gespräch genommen hast. Wir haben einige Fragen zum Thema der variablen Darlehen. Die werden ja seit vielen Jahren mit dem Gleitzinsmodell, meist mit dem gleitenden 3-Monats-EURIBOR, kalkuliert. Juristisch gesehen, werden hingegen Zinsanpassungsklauseln verwendet. Hierzu ein Beispiel: Banken passen vierteljährlich den Kreditzins an, wenn sich der Referenzzinssatz 3-Monats-EURIBOR um mehr als 25 Basispunkte bewegt hat. Die ökonomische Sicht und die juristische Vereinbarung sehen doch sehr ähnlich aus. Damit sollte es eigentlich keinen Handlungsbedarf geben. Was stört dich an dieser Vorgehensweise?
Wimmer: Zunächst einmal müssen wir zwischen den klassischen variablen Darlehen sowie den Kontokorrentkrediten auf der einen Seite, bei denen wir eine beziehungsweise bei den Kontokorrentkrediten keine vertragliche Laufzeitkomponente haben, und den Roll-over-Krediten auf der anderen Seite, bei denen es sich um Festzinsgeschäfte handelt, auch wenn sich der Festzins in Abhängigkeit vom Zinsbindungszeitraum, meist drei Monate, in kurzen Zeitabständen, ändert, unterscheiden.
Die Funktionsweise der beiden Darlehensgruppen ist zwar ähnlich, aber unterschiedlich im Detail. Bei variablen Darlehen verwendet die Bankpraxis seit über 20 Jahren die bereits erwähnten Zinsanpassungsklauseln. Im Prinzip passen Banken und Sparkassen die Zinsen an, indem sie sich meist, wie im eben genannten Beispiel, an dem 3-Monats- EURIBOR orientieren.
Der Kreditzins wird dann alle drei Monate angepasst, wenn sich der Referenzzinssatz um mehr als die Anpassungsschwelle geändert hat. Dieses Vorgehen könnten Kunden als ungerecht empfinden, wenn bei einer Schwelle von 0,25 Prozentpunkten eine Absenkung des Referenzzinssatzes um 24 Basispunkte den Kreditzins nicht reduziert.
Die wirkliche Kritik richtet sich an variable Darlehen mit Laufzeitkomponente.

Prof. Dr. Konrad Wimmer
Und hier beginnt das Problem auch aus Sicht der Kalkulation. Wir kalkulieren die klassischen variablen Darlehen derzeit mit dem gleitenden Drei-Monats-Zins. Doch damit können wir die Anpassungsschwelle nicht modellieren. In der jüngeren Vergangenheit, vor allem in der Niedrigzinsphase, gab es keine Steuerungsimpulse mehr, weil letztlich die kurzen Zinsen relativ starr waren und unsere Zinsanpassung nicht reagiert hat.
Außerdem war unklar – und das ist nach wie vor ein springender Punkt –, wie wir Liquiditätskosten und Adressrisikokosten in dieses Modell einbinden. Denn die Zinsanpassung ist ja auf die kurze Sicht gerichtet. Liquiditätskosten und Adressrisikokosten müssen aber grundsätzlich auf die Laufzeit des Darlehens abzielen.
Bei Kontokorrentkrediten ist die Kalkulation wesentlich problematischer, weil wir dort keine Laufzeitkomponente haben. Deshalb klammere ich diese Kreditform zunächst einmal aus. Die wirkliche Kritik richtet sich an variable Darlehen mit Laufzeitkomponente. Hier sollte aus fachlicher Sicht auf jeden Fall die Logik Verwendung finden, die transparent ist, nämlich die der Roll-over-Darlehens-Kalkulation. Es würde damit analog zum Festzinsgeschäft vorgegangen.
Welche alternativen Lösungen könnte es hier geben? Gegebenenfalls in Kombination mit einem Gleitzinsmodell?
Wimmer: Mit vielen Kalkulationsexperten in den Banken und Sparkassen bin ich weitgehend einig. Wir sehen die gleichen Kritikpunkte, insbesondere in Bezug auf die Liquidität, das Adressrisiko und die fehlende Kalkulierbarkeit eines klassischen variablen Darlehens.
Es stellt sich die Frage, ob es nicht konsequent wäre, auf Roll-over-Darlehen zu setzen. Hier gibt es eine klare Laufzeit, die im Vertrag vorgegeben ist. Und es ist transparent, wie kalkuliert und gesteuert wird. Bezüglich der Zinsanpassung gilt die Klausel, dass alle drei Monate nach Änderung des Referenzzinssatzes angepasst wird, ohne Wenn und Aber.
Und das eben thematisierte Problem der Anpassungsschwelle stellt sich bei Roll-over-Darlehen nicht. Hier lässt sich das mit diesem Produkt verbundene Zinsänderungsrisiko sehr gut steuern, nämlich auf die kurze Frist, also im Beispiel drei Monate. Beim Adress- und Liquiditätsrisiko haben wir ebenfalls eine klare Sicht, für welchen Zeithorizont wir Liquiditätskosten und die Adressrisikoprämie berechnen.
Einschränkend muss man allerdings ergänzen, dass auch beim Roll-over-Darlehen vorzeitige Beendigungen möglich sind. Denn das Produkt enthält eine gesetzliche Kündigungsoption, sodass der Kunde immer zum Zinsanpassungszeitpunkt den Vertrag beenden kann.
Insofern wäre es konsequent – und so haben wir das seitens msg for banking auch geplant –, das Roll-over-Darlehen mit dem Expected Cashflow zu ver- binden. Das heißt, wenn wir beispielsweise wissen, dass fünfjährige Roll-over-Darlehen in der Praxis im Schnitt tatsächlich nur eine Laufzeit von viereinhalb Jahren aufweisen, dann sollte die Bankpraxis bezogen auf die 4,5-Jahre-Erwartungshaltung kalkulieren.
Erwähnen möchte ich noch Alternativen zu den Roll-over-Darlehen. Es könnte sein, dass die Praxis – aus welchen Gründen auch immer – bei dem bisherigen, eben geschilderten klassischen Prozedere verharren möchte. Dann, meine ich, sollte man die Zinsanpassung mit dem Gleitzins wie bisher vornehmen, aber Erwartungswerte bei diesem Produkt einbeziehen.
Man muss somit klären, wie lange das Produkt im Schnitt läuft beziehungsweise wie lange die Kunden durchschnittlich in diesem Produkt bleiben. Und dann sind auch die Liquiditätskosten und die Bonitätsprämie bezogen auf diese Erwartungswerte zu berechnen. Denn sonst liegt man hier schnell daneben. Das heißt zusammengefasst, als konsequente Lösung, insgesamt mit dem Expected Cashflow zu steuern. Dann würde die Preisanpassung anhand des erwarteten Cashflows erfolgen.
Das wären also die Varianten. Aber aus meiner Sicht wäre es tatsächlich am einfachsten, auf die Methodik des Roll-over-Darlehens umzustellen.
Welche Fragen treten auf, wenn man von der juristischen Seite auf das Thema schaut?
Wimmer: Falls die Banken und Sparkassen auf Roll-over-Darlehen umstellen, müssen die Verträge angepasst werden. Bei neuen Verträgen bedeutet das, neue Vertragsmuster zu verwenden. Das ist im Gegensatz zu den Altverträgen kein Problem. Die Altverträge müssten allerdings umgestellt werden und das kann natürlich nur einvernehmlich mit den Kunden geschehen. Eine rein technische Umstellung auf Roll-over-Darlehen würde insoweit nicht funktionieren.
Man darf die juristischen Fragestellungen folglich nicht ausblenden, aber sie sind lösbar. Meines Erachtens sollte man zumindest im Neugeschäft den neuen Weg einschlagen.
Ich würde bei den klassischen variablen Darlehen ganz klar auf das Roll-over-Darlehen setzen.

Bald ist Weihnachten. Wenn du einen Wunsch frei hättest, was würdest du dir zum Umgang mit variablen Darlehen wünschen?</font color=0000>
Wimmer: Ich würde bei den klassischen variablen Darlehen ganz klar auf das Roll-over-Darlehen setzen. Das hätte auch den Vorteil, dass wir dann eine transparente Zinsanpassung vereinbaren, die als fair empfunden wird.
Denn die Anpassungsschwelle der klassischen Lösung kann eben dazu führen, dass sich der Referenzzinssatz bis knapp zu der Anpassungsschwelle zugunsten der Kunden bewegt hat, und dennoch wird nicht angepasst. Und das ist dann auch tatsächlich aus Kundensicht ärgerlich. Und das monieren die Verbraucherschützer entsprechend auch immer wieder mal.
Insofern würde ich sagen, die klare und transparente Lösung ist die Methodik des Roll-over-Darlehens. Und da befinden wir uns sowohl in der Bankkalkulation als auch in der Banksteuerung auf sicherem Terrain – mit einer klaren und transparenten Methodik. Und dann hätten wir eine Produktlösung, mit der die Praxis auch gut umgehen kann. Und die juristischen Facetten sind dann eben auch sogar langfristig alle gelöst.
Herzlichen Dank für den Austausch, Konrad. Du hast einen nachvollziehbaren und praktikablen Weg skizziert, den die Praxis einschlagen sollte.
Wimmer: Sehr gerne.
Lesetipp

Bankkalkulation und Risikomanagement Steuerung und Controlling in Kreditinstituten
von Prof. Dr. Konrad Wimmer | 4., neu bearbeitete und wesentlich erweiterte Auflage 2023, ca. 558 Seiten, € 89,-. ISBN 978-3-503-21111-1 | Erich Schmidt Verlag
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