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Expected Cashflow. Details zur Kalkulationsmethodik

In mehreren NEWS-Beiträgen wurden die Kalkulationsanforderungen nach EBA/GL/2020/06 und dabei unter anderem der Expected Cashflow (ECF) aufgegriffen. In diesem Beitrag werden nunmehr Details zur Kalkulationsmethodik vorgestellt.

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Überblick

In mehreren NEWS-Beiträgen1 wurden die Kalkulationsanforderungen nach EBA/GL/2020/06 und dabei unter anderem der Expected Cashflow (ECF) aufgegriffen. In diesem Beitrag werden nunmehr Details zur Kalkulationsmethodik vorgestellt.

Es stellt sich unmittelbar die Frage, welche Vorteile mit der Ermittlung von ECF verbunden sein könnten und welche Konsequenzen sich für die Banksteuerung (Kalkulation und Risikomanagement) ableiten lassen. Weiter ist zunächst zu klären, wie der ECF berechnet werden kann. Beispielsweise könnten Kreditausfälle Berücksichtigung finden oder ausgeklammert werden.

Aufsichtsrechtlicher Hintergrund

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sei auf die folgenden Rahmenbedingungen verwiesen:

Die EBA Guidelines on loan origination and monitoring (EBA/GL/2020/06) geben vor, dass Institute den ECF modellieren und kalkulieren müssen, vgl. hierzu Ziffer 202 EBA/GL/2020/06: Mit Wirkung auf den Zinsbindungszeitraum sind unter anderem die Costs of Funding (Refinanzierungskosten) sowohl für die Vertragsdauer als auch für die erwartete Vertragslaufzeit in den Preisrahmen einzubeziehen.

Wichtige aufsichtliche Vorgaben zur Verwendung von ECFs enthalten die IRRBB-Leitlinien des Baseler Ausschusses2 und die darauf aufbauenden IRRBB-Leitlinien der EBA.3

Auf letzteren basiert auch das Rundschreiben 06/2019 der BaFin zum Zinsänderungsrisiko. In drei Fällen ist demnach die ECF-Modellierung erforderlich:

  • Notleidende Risikopositionen (NPE, Non Performing Exposures) sind als allgemeine zinssensitive Instrumente einzubeziehen, deren Modellierung die Höhe der erwarteten Cashflows und deren zeitliches Auftreten widerspiegeln sollte, sofern die NPE-Quote […] des Instituts mindestens 2 Prozent beträgt. Wertanpassungen, die auf internen Verfahren beruhen, sind explizit zu berücksichtigen. Interne Wertanpassungen beziehen sich auf die betriebswirtschaftliche Abwertung, die von der handelsrechtlichen (Pauschal- beziehungsweise Einzel-)Wertberichtigung abweichen kann. Die handelsrechtliche Pauschalwertberichtigung folgt den Vorgaben von IDW RS BFA 7. Bei der Pauschalwertberichtigung liegt gerade kein konkretes Ausfallereignis vor, das heißt, die Ausfallwahrscheinlichkeit, die den gängigen Ratingsystemen zu entnehmen ist, ist kleiner als 100 Prozent. Der erwartete Verlust, auf den im weiteren Verlauf zurückzukommen ist, wird in der ökonomisch ausgerichteten Banksteuerung als barwertige Risikoprämie bezogen auf die Zinsbindungsdauer im Controlling separat erfasst. Die ökonomische Betrachtung weicht von der handels- bilanziellen Sicht nach IFRS 9 und IDW BFA 7 PWB ab, wenngleich sich die Rechnungslegung inzwischen an die ökonomische Betrachtung angenähert hat.
    Die Einzelwertberichtigung entspricht von der Intention her dem erwarteten barwertigen Verlust, wenn ein Ausfallereignis eingetreten ist (PD = 100 Prozent). Es ist dann auf den vorsichtig geschätzten Zufluss unter Einbeziehung der erwarteten Verwertungserlöse und -kosten abzuschreiben.
  • „Die Institute müssen alle wesentlichen in Bankprodukten enthaltenen automatischen und verhaltensabhängigen Optionsrechte berücksichtigen, wobei dies marktzinsabhängige und marktzinsunabhängige Optionalitäten einschließt.“4,5 Automatische Optionsrechte werden stets marktzinsabhängig ausgeübt.
  • Positionen mit unbestimmter vertraglicher Zinsbindung, wie Tagesgelder, Spar- und Sichteinlagen, sind gemäß der bankinternen Steuerung der Zinsänderungsrisiken zu behandeln. Praxisüblich ist die Ermittlung geeigneter Cashflows anhand der Methode der gleitenden Durchschnitte. Hier bezieht sich die Erwartungshaltung auf den Zinsanpassungs-Cashflow, der nicht mit dem liquiditätswirksamen Cashflow gleichgesetzt werden darf. Der modellierte durchschnittliche Zinsanpassungstermin für die genannten Positionen darf fünf Jahre nicht überschreiten, das heißt, die Grenze liegt bei einer Duration von rund fünf Jahren.

Expected Cashflow (ECF) in der Vor- und Nachkalkulation

Bei der Einführung von ECFs sind die Auswirkungen von Sondertilgungen und Rückzahlungen zu betrachten. Eine externe Schadensberechnung liegt bei der Ermittlung einer Vorfälligkeitsentschädigung oder eines Aufhebungsentgelts vor, wenn der Ist-Cashflow vom geplanten vertraglichen Cashflow (Contractual Cash- flow, CONCF) abweicht.

Übt der Darlehensnehmer eine gesetzliche Kündigungsoption nach § 490 Abs. 2 BGB beziehungsweise bei Verbraucherdarlehen nach § 502 BGB aus, so darf das Institut aufgrund der Gesetzeslage dem Kunden den erlittenen Schaden in Rechnung stellen (Vorfälligkeitsentschädigung). Im Grundsatz ergibt sich die Vorfälligkeitsentschädigung als Differenz des Barwerts der vorzeitig zurückgezahlten Darlehensraten gemäß CONCF und der Restschuld des Darlehens. Prinzipiell wird die Bank durch die Vorfälligkeitsentschädigung schadensneutral gestellt. Deshalb werden diese Arten der vorzeitigen Rückzahlung nicht in den ECF einbezogen. Allerdings greift bei Verbraucherdarlehen die doppelte Kappung nach § 502 BGB, das heißt, die Bank wird nur zum Teil schadensneutral gestellt, da meist die prozentuale Kappung greift. Insofern könnte hier ebenfalls auf den ECF abgestellt werden.

Da im Fall von Sondertilgungsoptionen, ebenso bei Tilgungssatzwechseloptionen, keine geschützte Zinserwartung vorliegt (BGH XI R 388/14, 19.01.2016), sind diese bei der Berechnung einer Vorfälligkeitsentschädigung ausschließlich schadensmindernd zu berücksichtigen. Im Umkehrschluss sollte die Optionsprämie bei der Darlehensausreichung im Pricing eingerechnet werden.

Bei der Vorfälligkeitsentschädigungsberechnung mit MARZIPAN fließen diese Optionsrechte so in die Schadensberechnung ein, dass sie zu einer Reduzierung des zu zahlenden Schadens für den Kunden führen. Bewertet wird insofern ein erwarteter Cashflow, der sich bei rationaler Ausübung der Optionsrechte ergeben würde. So wird bei Sondertilgungsrechten p. a. angenommen, dass der Kunde diese immer frühestmöglich (also 1. Januar) schadensmindernd ausüben würde.

Bei einer beiderseitigen Vereinbarung über eine vorzeitige Vertragsbeendigung kann die Bank mit dem Kunden ein Aufhebungsentgelt frei vereinbaren, das nicht sittenwidrig hoch sein darf (§ 138 BGB). Im Regelfall orientiert sich die Bank bei der Entgeltfestlegung am CONCF. Wie eben für die Vorfälligkeitsentschädigung dargestellt wurde, spielt der ECF nur bei Sondertilgungsoptionen eine Rolle – denn der Maßstab für die Sittenwidrigkeit ist die korrekt berechnete Vorfälligkeitsentschädigung unter Anrechnung der Sondertilgungsrechte p. a. Bei der internen Schadens-/Nutzenberechnung ergeben sich keine Zahlungsfolgen im Verhältnis zu den jeweiligen Kunden – im Unterschied zur externen Schadensberechnung. Jedoch sind etwaige Vor- oder Nachteile im Bankcontrolling zu berücksichtigen. Relevant ist die Abweichung des Ist-Cashflows vom geplanten ECF. Abweichungen resultieren immer nur dann, wenn sich Vor-/Nachteile nicht im Kundenverhältnis auswirken, weil implizite Optionen nicht oder entgegen der Erwartungshaltung ausgeübt werden. Zum Beispiel wird ein Roll-Over-Darlehen mit einer Rahmenzeit von 5 Jahren (CONCF) und einer erwarteten Laufzeit von 4,5 Jahren (ECF) nach 4,25 Jahren zurückgezahlt.

Die ECF-Vorkalkulation beruht auf der statistisch ermittelten Ausübung (Wahrscheinlichkeit und Höhe), die sich auf alle Zinsgeschäfte des betrachteten Produkts beziehungsweise Portfolios bezieht. Diese für die Grundgesamtheit geltende Aussage wird auf jedes einzelne Zinsgeschäft übertragen.

Diese Annahme ist konsistent auf die ECF-Nachkalkulation übertragen, das heißt, Einzelgeschäfts- und Portfoliosicht sind in Vor- und Nachkalkulation identisch. Es ist aber denkbar, auf den ECF bezogene außerplan- mäßige Ereignisse in der Nachkalkulation darzustellen. Da es nahezu bei jedem Konto zu Abweichungen käme, wäre der Rechenaufwand enorm. Allerdings ist eine Validierung für die Ableitung des ECF vorzusehen. Insofern sind in der Nachkalkulation die Ist-Cashflows mit dem ECF zu vergleichen und gegebenenfalls ist dann der ECF im Sinne eines Backtestings neu zu kalibrieren.

Als Zusammenfassung dient Abbildung 1 (VE = Vorfälligkeitsentschädigung, AE = Aufhebungsentgelt):

ECF, Cashflowänderungen im Festzinsgeschäft und Nachkalkulation

Abbildung 1: Cashflowänderungen im Festzinsgeschäft und Nachkalkulation

ECF und Adressrisikokosten

Für die Kalkulation der Risikokosten stehen grundsätzlich zwei Wege offen. In beiden Fällen dürfen die Kreditausfälle nicht in den Run-off-Faktoren6 für die verhaltensabhängigen Optionen enthalten sein.

Beide Varianten beruhen auf ähnlichen Methoden, die auf den Ausfallwahrscheinlichkeiten des Rating- systems (Probability of Default, PD), den Verlustquoten (Loss given Default, LGD) und der Verwertung von Sicherheiten (vgl. Erlösquotensammlung nach BTR 1 Zi. 7 MaRisk) basieren.

Barwertige Kostenermittlung – klassische Vorgehensweise

Die klassische Methode ermittelt den erwarteten Verlust auf Basis der Barwerte des vertraglichen Zahlungsstroms.7 Die Kalkulation der Adressrisikoprämie mittels CONCF ist etabliert und von der Bankenaufsicht akzeptiert. Die benötigten Parameter stehen zur Verfügung.

Die klassische Methode kann unmittelbar auf den ECF übertragen werden, indem die vertraglichen Cashflows durch die erwarteten Cashflows ersetzt werden. C. p. ergeben sich dadurch geringere Risikokosten.

Der barwertige Expected Loss (EL) ergibt sich für den „Ausfall in der ersten Periode“ (d1) mit t als Laufzeitindex für die Periode (t = 1, …, n), ECF(t) = Expected Cashflow(t), AZF(t,0) = Abzinsungsfaktor(t,0) per Zeitpunkt 0 [„heute“], PDd1 = Grenzausfallwahrscheinlichkeit der Periode 1, LGDd1 = Loss Given Default der Periode 1, EADd1(0) = barwertiges Exposure at Default bei Ausfall in der ersten Periode; analog ist bei den Ausfällen zu den späteren Perioden vorzugehen (vgl. Abbildung 3):

Im Beispiel gelte für den ECF vor Expected Loss, was aus dem Vorgängerartikel übernommen ist8:

Erwarteter Cashflow Kundengeschäft (ECF)

Abbildung 2: Erwarteter Cashflow Kundengeschäft (ECF)

Man beachte in Abbildung 3, dass die PDs der einzelnen Perioden den sogenannten Grenzausfallwahrscheinlichkeiten entsprechen. Im Defaultmodell9 gilt dann 0,4 % im ersten Jahr und im zweiten Jahr 0,4 % * 99,6 % = 0,3984 % usw. Wie im Folgenden noch begründet wird, erfolgt die Ermittlung der Adressrisikoprämie auf Basis der risikolosen Zinskurve.

Die klassisch ermittelten Risikokosten müssen anschließend in das DB-Schema des ECFs eingestellt und auf den Nominalzinssatz umgelegt werden, da nur durch diesen Zahlungsstrom die entstehenden Kosten tatsächlich verdient werden können.

Barwertige Kostenermittlung – Integration ins ECF-Modell

Die neue integrative Methode macht transparent, dass die Ausfälle Einfluss auf die erwartete Tilgungsstruktur haben, und berücksichtigt diese bei der weiteren Verrechnung von Kosten und Verwertungserlösen.

Modellbeschreibung

Die erwarteten Kreditausfälle der aktuellen Periode t werden aus der erwarteten Restschuld der Vorgängerperiode t–1 und der Ausfallwahrscheinlichkeit zu diesem Zeitpunkt berechnet und in die erwartete Tilgungsstruktur eingebaut. Bezogen auf die Ausfallmodellierung dürfen die restlichen Tilgungen nur in dem Umfang ein- gestellt werden, in dem die Kredite auf Portfolioebene noch nicht bis zu diesem Zeitpunkt ausgefallen sind. Hieraus ergibt sich sukzessive die jeweilige neue Restschuld. Demgegenüber müssen allerdings die erwarteten Verwertungserlöse berücksichtigt werden. Diese dürfen nicht als Reduzierung der erwarteten Ausfälle im Tilgungsverlauf aufgefasst werden, die Einfluss auf die erwartete Tilgungsstruktur haben. Grund dafür ist, dass die erwartete Tilgungsstruktur für die weitere Umlegung von Kosten und Erlösen auf den Nominalzins im DB-Schema relevant ist. Über die erwarteten Verwertungserlöse können allerdings nicht noch weitere Kosten und Erlöse vereinnahmt werden, sondern sie sind als eigenständiger Erlös zu sehen. Daher dürfen diese nur in den erwarteten Zahlungsstrom aufgenommen werden.

Adressrisikoprämie (EL) auf Basis des ECF (klassische Methode)

Abbildung 3: Adressrisikoprämie (EL) auf Basis des ECF (klassische Methode)

Sollen die Verwertungserlöse direkt per Ausfalldatum eingestellt werden, ergeben sie sich aus dem Exposure at Default (analog zum oben erläuterten klassischen Modell als Barwert der ausstehenden Cashflows). Hieraus resultiert der erwartete Zahlungsstrom mit Aus- fällen, wobei die Tilgungen und Zinszahlungen nur im erwarteten Umfang eines Nichtausfalls eingestellt wer- den. Diese Variante, erwartete Verwertungserlöse zu berücksichtigen, sorgt allerdings im Allgemeinen dafür, dass es eine Verschiebung der Zahlung hin zum Kalkulationszeitpunkt gibt. Dies liegt daran, dass die zukünftigen Zinsen schon früher vereinnahmt werden, wenn auch mit dem Barwert, den sie auch bei einer regulären Vereinnahmung gehabt hätten. Dadurch liegt der ECF mit Kreditausfällen zu Beginn über dem ohne Ausfälle (vergleiche Abbildung 2 und Abbildung 5).

Wird in der Banksteuerung der erwartete Zahlungsstrom inklusive der erwarteten Verluste verwendet, kann das durch die Kreditausfälle verursachte Zinsänderungsrisiko und Liquiditätsrisiko realitätsnäher gesteuert werden. In der Ausfallrisikoprämie sind diese Risiken nicht berücksichtigt und damit durch diese nicht abgedeckt.

Die skizzierte Methodik wird nunmehr ins Beispiel übertragen:

Verwertungserlöse auf Basis des ECF (neue Methode)

Abbildung 4: Verwertungserlöse auf Basis des ECF (neue Methode)

Adressrisikoprämie (EL) auf Basis des ECF (neue Methode)

Abbildung 5: Adressrisikoprämie (EL) auf Basis des ECF (neue Methode)

Vergleich der Methoden

Die klassische Variante stimmt mit dem neuen Verfahren in Bezug auf die Verwertungserlöse überein.10 Dies gilt sowohl für die Sicht p. a. als auch für die barwertige Sicht.

Hingegen ergeben sich bei gleichem barwertigem Ergebnis Verschiebungen in der Modellierung der ECFs der einzelnen Perioden. Dies liegt an der unterschiedlichen Modellierung, die oben dargestellt wurde. In der klassischen Variante wird der ECF um die erwarteten Verluste gekürzt. Da der Ausfall bei „Ausfall in der ersten Periode“ am höchsten ist und der gesamte künftige Cashflow aus- fallbedroht ist, ergibt sich insofern eine hohe Korrektur des ECFs in der ersten Periode im Vergleich zur neuen Variante. Dort wird in der ersten Periode der Ausfall auf den ersten Cashflow bezogen, indem wahrscheinlichkeitsgewichtet aufgeteilt wird zwischen Nichtausfall (99,6 Prozent) und Ausfall (0,4 Prozent). Der Verwertungserlös aus der Sicherheit ist im erwarteten Verlust bereits enthalten, während er in der neuen Variante explizit als Zufluss modelliert wird.

Die Modellierung des Verwertungserlöses ist unabhängig von der gewählten Variante von Prämissen abhängig. Eine explizite Berücksichtigung des Erwartungswerts der ausstehenden Kreditforderung im Sinne des vorgestellten ECF-Ansatzes findet bislang nicht statt. In der Praxis sind die Institute gehalten, nach BTR 1 Zi. 7 MaRisk die Erlöse aus der Abwicklung von Kreditengagements sowie den zugehörigen historischen Werten der Kreditsicherheiten in einer Erlösquotensammlung zu erfassen. Mit Bezug auf Art. 229 f. CRR ergibt sich die Verlustquote mit 1– (Rückfluss aus der Verwertung der Sicherheiten/ausstehende Kreditforderung). Im Kontext werden diese historischen LGD-Werte für die Ermittlung der erwarteten Verwertungserlöse übernommen. Etwas präziser gefasst kann auf die geschätzte oder die realisierte Verlustquote abgestellt werden.11 Letztere entspricht im Kontext der aufsichtsrechtlichen Regelung (CRR) dem Verhältnis von barwertig berechnetem Verlust und der Höhe der Forderung zum Zeitpunkt des Ausfalls. Als barwertiger Verlust wird die Differenz zwischen der Forderung und der barwertigen Summe aller relevanten Cashflows vom Zeitpunkt des Ausfalls bis zur Klärung12 definiert. Die Forderung ist hier durch die Kreditinanspruchnahme bei Ausfall einschließlich angefallener und noch nicht gezahlter Zinsen definiert. Relevante Cashflows resultieren aus verwerteten Sicherheiten und direkt dem Ausfall zurechenbaren (zahlungsgleichen) Kosten auf Vertragsebene.

ECF und Liquiditätskosten

Für die Ermittlung der Liquiditätskosten liegen ebenfalls zwei Varianten vor. In Variante 1, die der klassischen Vorgehensweise entspricht, beinhaltet der Margenbarwert auch Liquiditätskosten. In der neueren Variante 2 bein- haltet der Margenbarwert hingegen keine Liquiditätskosten. In beiden Varianten wird davon ausgegangen, dass der ECF nach Abzug des erwarteten Verlusts für die Ermittlung der Liquiditätskosten verwendet wird.

Variante 1

In der Variante 1 wird der ECF Kunden-Cashflow einmal mit der risikolosen und einmal mit der risikobehafteten Zinskurve bewertet. Die Differenz stellt die barwertigen Liquiditätskosten (spiegelbildlich Liquiditätsnutzen bei Passivgeschäften) dar. Im Beispiel resultiert entsprechend ein Liquiditätskostenbarwert in Höhe von 560,09 €.

Diese Vorgehensweise ist auf den ersten Blick überzeugend, da wie immer bei der Kurswert-/Barwertermittlung fristenkongruent refinanziert wird. Nachteilig ist indessen, dass damit auch der Margenbarwert Liquiditätskosten enthält, obwohl dieser nicht liquiditätswirksam refinanziert werden muss.

Variante 2

Will man den Liquiditätskostenbarwert so berechnen, dass er die Kosten für die Refinanzierung der Marge nicht beinhaltet, ist wie folgt vorzugehen.

Im Schritt 1 wird der margenbereinigte Cashflow mit der risikobehafteten Zinsstruktur ermittelt. Im Schritt 2 wird dieser Cashflow mit der risikolosen Zinskurve diskontiert. Der sich ergebende Margenbarwert ist der Liquiditätskostenbarwert. Im Beispiel ergibt sich ein Wert von 554,18 €.

Liquiditätskostenbarwert als Margenbarwertdifferenz (ECF nach Expected Loss)

Abbildung 6: Liquiditätskostenbarwert als Margenbarwertdifferenz (ECF nach Expected Loss)

Die dargestellte Liquiditätskostenermittlung beruht wie eingangs erläutert bei beiden Varianten auf der Annahme, den ECF nach Abzug des erwarteten Verlusts für die Ermittlung der Liquiditätskosten zu verwenden. Somit fallen auch keine Liquiditätskosten für den erwarteten Verlust an. Dem kann entgegengehalten werden, dass in der Einzelgeschäftsperspektive der ECF vor Adressrisikoprämie refinanziert wird und der Bank dann auch Liquiditätskosten auf den erwarteten Verlust entstehen.

Konsequenzen für die Vertriebssteuerung

In der Einzelgeschäftskalkulation werden die beiden Margenbarwerte auf CONCF- und ECF-Basis ermittelt. Die Behandlung der Differenz sollte analog zur Ermittlung der Optionsprämie bei rationaler Ausübung erfolgen, das heißt, der Vertrieb erhält den erwartungsgemäß erzielbaren Margenbarwert (1.294,31 €; vgl. Abbildung 7). Darin sind die Kosten der Option bereits berücksichtigt. Im Umkehrschluss wird das Vertriebsergebnis nicht ex post korrigiert, wenn die Optionsausübung zu einem Schaden für die Bank führt beziehungsweise die Nichtausübung zu einem Gewinn. Diese Effekte betreffen das Gesamtbankergebnis.

Außerplanmäßige Ereignisse, die im Nachhinein zu einem vom CONCF abweichenden Cashflow führen, sind bereits in der aggregierten Sicht auf Produktebene berücksichtigt. Da die ECF-Modellierung auf der statistischen Verteilung der außerplanmäßigen Ereignisse basiert, werden die einzelnen Verträge auch eine längere oder kürzere Laufzeit aufweisen, als die auf die Grundgesamtheit bezogene ECF-Modellierung vorgibt. Diese Abweichungen führen nicht zu Korrekturen des ECF beziehungsweise des Vertriebsergebnisses. Andererseits ist die Nachkalkulation der Einzelgeschäfte im Controlling auf aggregierter Ebene auszuwerten (Basis für die Validierung der ECF-Modellierung). Dies ist aber ohne Konsequenz in der Vertriebssteuerung.

Die weiteren Konsequenzen für die Deckungsbeitragsrechnung als Ergebnismessinstrument in der Vertriebssteuerung hängen von den Details der Modellierung ab:

Wie oben dargestellt sollte die risikoadjustierte Bepreisung auf Basis des ECF durchgeführt werden, wenn – wie in dieser Ausarbeitung angenommen – Kreditausfälle nicht in den ECF eingeflossen sind. Im Ergebnis wird der erwartungsgemäß erzielbare Margenbarwert also um den auf den ECF bezogenen Expected Loss (EL) reduziert. Die Risikoübernahmeprämie, die zusammen mit dem EL die Bonitätsprämie ergibt, bezieht sich auf das gebundene Eigenkapital, das ökonomisch beziehungsweise bei einem aufsichtsrechtlichen Eigenkapitalengpass aufsichtsrechtlich als gebunden gilt.

Deckungsbeitragsrechnung (CONCF, ECF)

Abbildung 7: Deckungsbeitragsrechnung (CONCF, ECF)

In gleicher Weise sind Liquiditätskosten (spiegelbildlich Liquiditätserlöse) ebenfalls auf Basis des ECF, also des erwarteten Zahlungsstroms nach dem erwarteten Ausübungsverhalten der verhaltensabhängigen Optionsrechte, zu kalkulieren. Abhängig von der gewählten Variante für die Bewertung des Kreditrisikos resultieren unterschiedliche Liquiditätskosten, da sich der nach der Adressrisikokosten resultierende ECF im Detail unterscheidet. Bei der Ermittlung der Liquiditätskosten sollten auch die erwarteten Kreditausfälle eingebunden werden.

Damit verknüpft ist eine Festlegung der Reihenfolge der Berechnung der Kostenkomponenten für die Deckungsbeitragsrechnung:

  1. Zuerst wird der Kunden-Cashflow mit der risikolosen Zinskurve bewertet (damit verbunden ist die Übergabe des Zinsänderungsrisikos an die Disposition).
  2. Dann werden die Adressrisikokosten ebenfalls auf Basis der risikolosen Zinskurve kalkuliert, da insofern keine Notwendigkeit besteht, diesen Cashflow-Bestandteil zu refinanzieren.
  3. Anschließend wird die Liquiditätskostenermittlung wie beschrieben vorgenommen, wobei vorher noch der ECF um den periodenbezogenen Expected Loss gekürzt wurde.

Im Beispiel ergibt sich ein höherer Nettomargenbarwert auf Basis des ECF: Die Reduktion der Adressrisiko- und Liquiditätsprämie überkompensiert den Kurswertverlust infolge der reduzierten und zeitlich nach vorne geschobenen Cashflows.

Sofern ein Kredit ausgefallen ist, ist er auch nicht mehr Bestandteil einer periodenbezogenen sowie wertorientierten Vertriebssteuerung und damit aus dem Gesamtbank-Cashflow mit dem restlichen ECF dieses Kredits zu eliminieren. Dies folgt aus der oben getroffenen Prämisse, Kreditausfälle bei der statistischen Erhebung des Rückzahlungsverhaltens auszuklammern.

Quellen und weiterführende Hinweise

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Konrad Wimmer

Prof. Dr. Konrad Wimmer

ist promovierter Diplom-Kaufmann und bei msg for banking für die strategische Themenentwicklung verantwortlich. Sein Fokus liegt auf den Themen Sustainable Finance, Bankcontrolling, Finanzmathematik, Geschäftsfeldsteuerung, wertorientierte Vertriebssteuerung und Risikomanagement. Er berät Banken zu diesen Themen und ist erfahrener Referent und Autor.

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