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Was erwartet die Banken 2024?

In diesem Beitrag werden einige für 2024 als relevant erachtete Fragestellungen inklusive der immer bedeutsamer werdenden Nachhaltigkeitsthemen skizziert und auf mögliche Implikationen auf die Gesamtbanksteuerung inklusive der auf die Kreditvergabe eingegangen - allerdings ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit.

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Was erwartet die Banken 2024?

Was erwartet die Banken 2024?

Derartige Fragen werden in jedem Jahr vor dem Jahreswechsel gerne gestellt. Und schon wenige Wochen später entpuppen sich die vorgetragenen Prognosen als überholt oder, wie in den krisengeprägten Vorjahren, als stark verfehlt. Gleichwohl werden hier einige für 2024 als relevant erachtete Fragestellungen inklusive der immer bedeutsamer werdenden Nachhaltigkeitsthemen skizziert. Und es wird auf mögliche Implikationen auf die Gesamtbanksteuerung inklusive der auf die Kreditvergabe eingegangen.

Ein Anspruch auf Vollständigkeit ist damit freilich nicht verbunden.

Rückblick 2023 und Ausgangssituation für 2024

Der Ausschuss für Finanzstabilität (AFS) sieht zurecht die gestiegenen Zinsen, die reduzierten Wachstumsaussichten, die weiter erhöhten Cyberrisiken und geopolitischen Krisen als prägend für 2023 an. Die damit verbundenen Unsicherheiten bleiben vermutlich auch 2024 hoch.1

Zinsanstieg

Die Zinswende, die in der zweiten Jahreshälfte 2022 einsetzte und bis in das aktuelle Jahr hinein anhielt, übertraf die bisherigen Zinsstressszenarien.2

Was erwartet die Banken 2024, Verteilung von Zinsänderungen gegenüber dem Vorjahresquartal

Abbildung 1: Verteilung von Zinsänderungen gegenüber dem Vorjahresquartal(3)

In der zweiten Jahreshälfte könnte es erneut zu einer Zinswende kommen, wenn die Notenbanken die Leitzinsen wieder senken sollten. Analysten erwarten den EZB-Zinssatz Ende 2024 bei 3,5 Prozent gegenüber 4 Prozent aktuell. Der bisherige Zinsanstieg ist offensichtlich „zweischneidig“.

Zunächst zur negativen Seite: Der Zinsanstieg führte im zinstragenden Geschäft unmittelbar zu Markt- beziehungsweise Barwertverlusten, die insbesondere bei langen Zinsbindungen negativ auf die Eigenkapital­ausstattung der Institute wirkten.

Soweit diese handelsbilanziell infolge des gemilderten Niederstwertprinzips im so genannten Anlagevermögen nicht bilanziert werden, resultieren gleichwohl stille Lasten. Negative Auswirkungen ergeben sich jedoch auch bilanziell, wenn ein Institut Anlagen des „Anlagevermögens“ veräußern muss, etwa um unerwartete zinsbedingte Liquiditätsabflüsse im Einlagenbereich zu kompensieren, da dann die Wertverluste schlagend werden und sich auf das handelsrechtliche Ergebnis eigenkapitalmindernd durchschlagen.

Das war wohl der zentrale Grund für die Schieflage der Silikon Valley Bank in den USA. Für die deutschen Institute dürfte dies zwar kein Bedrohungsszenario sein. In letzter Zeit kam es aber bei manchen Instituten zu nicht unerheblichen Einlagenabflüssen, weil die Einlagenkonditionen nicht mehr marktgerecht waren. Folglich kann es also zu einem Anstieg der Refinanzierungskosten kommen, weil höhere Liquiditätsspreads am Kapitalmarkt im Vergleich zum Einlagengeschäft gezahlt werden müssen. Die Drohverlustrückstellung nach BFA 3, v. a. die Kostenkomponente Liquiditätskostenbarwert, hatte sehr viele LSIs beschäftigt.

Nun zur positiven Seite: Kreditinstitute profitierten von den gestiegenen Zinsen, da sie die Zinsmargen ausweiten konnten. Der AFS weist jedoch darauf hin, dass die Einlagenzinsen und damit die Refinanzierungskosten weiter steigen und die aktuell erhöhten Zinsmargen wieder zurückgehen könnten. Bei allen Kreditnehmern verringert die höhere Zinsbelastung zudem deren Schuldentragfähigkeit, was zu höheren Kreditausfällen führen kann. Betroffen sind nicht nur große Projektentwickler und Bauträger – auch wenn die „Benko“ und „Signa“ diese Problematik in die breite Öffentlichkeit getragen haben.4

Problem Immobiliensektor

Der AFS analysierte jüngst unter anderem die Risiken aus dem Gewerbeimmobiliensektor. Die Nachfrage nach Gewerbeimmobilien ist nicht nur durch die gestiegenen Zinsen national wie international weiter gesunken. Die zunehmenden Homeoffice-Tätigkeiten hebeln diesen Effekt. Die fallenden Gewerbeimmobilienpreise reduzierten auch den Wert der Sicherheiten. Verstärkt wird dies auch in nächster Zeit durch den Modernisierungsstau, der spätestens mit dem Gebäudeenergiegesetz auch der breiten Öffentlichkeit bewusst geworden ist. Für die Banken nimmt damit der Wert der Sicherheiten teilweise deutlich ab und der erwartete Kreditverlust nimmt zu.

Der AfS weist auch auf die für viele Gewerbeimmobilienkredite geltenden relativ kurzen Zinsbindungen hin. Anschlussfinanzierungen werden in den nächsten Jahren im Vergleich zu Ausgangsfinanzierung drastisch teurer. Hinzu kommen stark erhöhte Baukosten. Kurz, die Kreditrisiken im Gewerbeimmobiliensektor sind stark gestiegen. Banken werden damit ein Augenmerk auf die Risikovorsorge (EWB und PWB nach BFA 7) richten müssen.  Auch die Risiken aus Wohnimmobilienfinanzierungen bleiben 2024 weiterhin erhöht. Die üblichen langen Zinsbindungen laufen sukzessive aus und müssen mittelfristig durch gegebenenfalls deutlich gestiegene Zinsen in der Anschlussfinanzierung ersetzt werden.5

Der deutsche Wohnimmobilienmarkt war im Jahr 2023 von einem starken Preisrückgang vor allem bei Bestandsimmobilien gekennzeichnet. Die stark gestiegenen Kreditzinsen, die historisch betrachtet keineswegs als hoch einzustufen sind, und die inflationsbedingt gesunkenen Realeinkommen reduzierten die Nachfrage nach Wohneigentum. Bei Neubauten brach das Kreditgeschäft der Institute dramatisch ein: zu den höheren Finanzierungskosten traten die massiv gestiegenen Baukosten, die kaum kalkulierbar waren und bis auf weiteres auch nicht sein werden.  Das Hick-Hack um das Gebäudeenergiegesetz lässt andererseits den Schluss zu, dass in nächster Zukunft die Finanzierung von Modernisierungen der Bestandsimmobilien die eingetretene Lücke bei der Finanzierung von Neubauten schließen könnte. Die Institute sehen sich hier also einem gewaltigen Finanzierungspotential gegenüber. Dieses Potenzial sollte systematisch erschlossen werden:

  • Auswertung der Effizienzklasse mit Hilfe von Energieausweisen; soweit diese nicht vorliegen, muss eine Schätzung, zum Beispiel anhand des Baualters der Immobilie, vorgenommen werden.
  • Auf dieser Basis können Bankkunden auf Modernisierungsmaßnehmen angesprochen werden. Hier sollten die Institute mit bereits zugänglichen Beratungslösungen konkrete Modernisierungsalternativen mit dem Kunden besprechen. Es gilt dabei die Energieeinsparung und die Reduktion des CO2-Ausstoßes den Modernisierungskosten gegenüberzustellen.6 Ein erster Schritt ist eine Kosten-/Nutzenanalyse, die zu einem aussagefähigen Vorteilhaftigkeitsabgleich anhand einer Investitionsrechnung ausgebaut werden kann.

Immobilien, die Institute finanzieren und die als Sicherheiten im Hypothekenportfolio dienen, sind dem transitorischen Risiko ausgesetzt, wenn die Gesetzesvorhaben zur Reduzierung der THG-Emissionen von Immobilien umgesetzt werden.7

BCBS verweist auf die UN als Quelle, wonach Immobilien weltweit fast 20 Prozent (Europa 36 Prozent) der THG-Emissionen aufweisen.8 Hohe Emissionen mit geringer Energieeffizienz könnten hypothekenbesicherte Kreditnehmer möglicherweise verpflichten, ihre Immobilien weniger CO2-intensiv oder energieeffizienter zu machen. Daraus resultieren letztlich erhöhte Adressausfallrisiken für die Institute, solange die Immobilien nicht modernisiert werden und dadurch die Marktwertverluste kompensiert werden.

Ausblick

Aus Sicht der EZB sollen Institute ihre Rolle bei der Finanzierung der Wirtschaft und des Transformationsprozesses zur Klimaneutralität erfüllen. Der zweite wirtschaftsweite Klimastresstest der EZB zeigte, dass die Gesamtkosten und -risiken umso geringer sind, je früher und schneller die grüne Transformation vonstatten geht.9

Klimawandelbedingte Störungen beeinträchtigen die globalen Produktionswertschöpfungsketten und dann im nächsten Schritt den Wert der Finanzportfolios. Schwerer zu diversifizierende Risiken sind möglicherweise nicht mehr versicherbar. Die EZB befürchtet eine negative Rückkopplungsschleife: Wird die Kreditvergabe an Haushalte und Unternehmen in gefährdeten Regionen oder bezogen auf einzelne Branchen zurückgefahren, so unterbleiben möglicherweise lokale Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel angesichts ausbleibender Kreditversorgung.

Expertenschätzungen zufolge sollte sich die Inflation in Richtung 3 Prozent bewegen und die Realeinkommen der Verbraucher sollten sich stabilisieren.  Hoffnungen für 2024 ruhen dabei auf der Binnennachfrage. Die Verbraucher konsumieren unter anderem in Abhängigkeit von der Lage am Arbeitsmarkt, der sich trotz der Konjunktureintrübung als stabil erwiesen hat.

Die deutsche Konjunktur wird von ihrer langjährigen Stärke bei der Exportwirtschaft eher wenig profitieren, da wichtige Exportmärkte wie USA und China schwächeln – für die USA droht für die erste Jahreshälfte sogar eine Rezession. Die geopolitischen Schocks des Ukraine- und Nahostkriegs sind in den Finanzmärkten eingepreist. Am Weltmarkt wird derzeit zwar nicht von weiter steigenden Öl- und Gaspreisen ausgegangen, jedoch hat die Bundesregierung angekündigt, den CO2-Preis zu erhöhen. Konjunkturförderlich wird dies nicht sein.

Wichtige Herausforderungen für 2024 im Überblick

Zusammenfassend werden die Institute insbesondere für die folgenden Themen Ressourcen einsetzten müssen:

  • Umsetzung der MaRisk-Novelle 2023: Es ist davon auszugehen, dass gerade die Einbindung der ESG-Faktoren im Risikomanagement und speziell in der Kreditvergabeentscheidung noch keineswegs abgeschlossen ist, auch wenn formal aus Sicht der BaFin der 01.01.2024 vorgegeben war.
  • Die CRR III wird viele Aktivitäten erfordern, da insbesondere die Überarbeitung des Kreditstandardansatzes (KSA) sowie des auf internen Ratings beruhenden Ansatzes (IRBA) ansteht und zu klären ist, ob – was nunmehr möglich ist – partiell vom KSA auf den IRBA gewechselt wird. Der Output-Floor bei Anwendung des IRBA führt zu einem zusätzlichen Aufwand, da auch die Berechnung der institutsbezogenen RWAs gemäß KSA vorzunehmen ist. Die Zeit für die CRR III Umsetzung ist nun eng bemessen, da schon ab dem 01.01.2025 die neuen Vorschriften greifen sollen. Bei der CRR III – Umsetzung sollte ein integrativer Ansatz gewählt werden, der neben dem Meldewesen (Abbildung der RWA) unter anderem die Erstellung der normativen Kapitalplanung, die Asset Allocation der Gesamtbank und das MaRisk-konforme Pricing sowie gegebenenfalls Zielvereinbarungen der Vertriebseinheiten berücksichtigt.10
  • Die BaFin zeigt seit zwei Jahren diejenigen Risiken auf, die für die Finanzstabilität in Deutschland besonders gefährlich sind. Schon Ende Januar 2024 wird sie ihre neuen Einschätzungen vorlegen. Anfang 2023 nannte sie Risiken aus abrupten Zinsanstiegen mit signifikantem Ausmaß, Risiken aus Korrekturen an den Immobilienmärkten, Risiken aus signifikanten Korrekturen an den internationalen Finanzmärkten, Risiken aus dem Ausfall von Krediten an deutsche Unternehmen, Risiken aus Cyberattacken mit gravierenden Auswirkungen, Risiken aus unzureichender Geldwäscheprävention. Das erstgenannte Risiko sollte nur noch untergeordnete Bedeutung haben, aber die restlichen Risiken wird man fortschreiben können. Zu risikorelevanten längerfristigen Trends rechnet die BaFin die Themen „Nachhaltigkeit“, „Digitalisierung der Finanzbranche“ und das Themenfeld „geopolitische Umbrüche“. Alle drei Bereiche werden die Kreditwirtschaft auch 2024 beschäftigen.
  • Die Financial Times wies am 18.12.2023 darauf hin, dass die Kombination von gestiegenen Kreditzinsen und weggefallenen Covid- Unterstützungszahlungen der öffentlichen Hand die Insolvenzzahlen deutlich ansteigen lässt.11 Für Deutschland meldete das Statistische Bundesamt im Dezember einen Anstieg der Insolvenzen um 25 Prozent von Januar bis September 2023 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Das Kreditrisikomanagement und die Risikovorsorge müssen sich also zunehmend mit (potenziellen) Kreditausfällen auseinandersetzen. Bei der Risikovorsorge sind die Vorgaben von IDW RS BFA 7, jüngst ergänzt um den IDW-Rechnungslegungshinweis „Einzelfragen zur Risikovorsorge für vorhersehbare, noch nicht individuell konkretisierte Adressenausfallrisiken im Kreditgeschäft von Kreditinstituten (Pauschalwertberichtigung) nach IDW RS BFA 7 (IDW RH BFA 1.004)“, zu beachten. Inhalte des Rechnungslegungshinweises sind unter anderem Diskontierung mit der risikolosen Marktrenditekurve; Verbot der Kompensation zwischen verschiedenen Teilportfolios; qualitativer oder quantitativer Nachweis der Ausgeglichenheitsannahme; Management Adjustments der modellhaft berechneten Risikovorsorge. Hier könnten noch Nacharbeiten 2024 anstehen.
  • Hohe Bestände an notleidenden Krediten, die so genannten „Non-performing loans“ (NPLs), in den Bankbilanzen der europäischen Banken bremsten nach der Finanzkrise 2008/2009 die schnelle Erholung der Finanz- und Realwirtschaft, da die NPL-Bestände Eigenkapital binden und insoweit die Neukreditvergabe einschränken. Das Kreditzweitmarktförderungsgesetz, das als Regierungsentwurf vorliegt, setzt die Richtlinie (EU) 2021/2167 über Kreditdienstleister und Kreditkäufer um, und gewährleistet das bestehende hohe Schutzniveau der Kreditnehmer. In Abhängigkeit von der Auslastung der aufsichtsrechtlichen Eigenkapitalauslastung kann der künftig mögliche Verkauf von NPLs eine interessante Möglichkeit sein, die aufsichtsrechtliche Eigenkapitalbindung zu reduzieren.
  • Da eine zunehmende Zahl an Banken und Sparkassen in die Nähe eines aufsichtsrechtlichen Eigenkapitalengpasses gerät, werden auch verschiedene Kennzahlen zum Beispiel die Eigenkapital-(Über)rendite und der engpassbezogene Deckungsbeitrag diskutiert, wie dieser Situation in der Banksteuerung Rechnung getragen werden soll. Diese Fragestellung gewann durch die 7. MaRisk-Novelle an Brisanz, da dort explizit die Ermittlung risikoadjustierter Leistungsindikatoren gefordert wird, z. B. der Geschäftswertbeitrag (Economic Value Added, EVA),12 die Rendite des risikoadjustierten Eigenkapitals (Return On Risk-adjusted Capital, RORAC) oder der Ertrag auf die risikogewichteten Aktiva (Return on Risk-Weighted Assets, RORWA). Zu Details darf auf mehrere kürzlich erschienenen Beiträge verwiesen werden.13 Viele Institute sich auch in 2024 mit dieser Kalkulations- und Banksteuerungsfrage auseinandersetzen.
  • Ebenfalls weiter beschäftigen wird die Bankpraxis die Drohverlustrückstellung nach IDW RS BFA 3. Hier sind mehrere Fragestellungen, wie die Auswahl der Zinskurve zur Ermittlung des Liquiditätskostenbarwertes oder die korrekte Einbeziehung der Refinanzierungswirkung des Eigenkapitals noch nicht final geklärt; diese wirken sich aber auf die Höhe Drohverlustrückstellung unmittelbar aus.14

Blickt man auf die oben skizzierten Hausaufgaben in Bezug auf regulatorische Anforderungen, so könnte ein einseitiger Eindruck entstehen. Viele regulatorische Vorgaben sind letztlich nur die Konsequenz der gesamtwirtschaftlichen und geopolitischen Entwicklungen. Der Transformationsprozess der Volkswirtschaft hängt stark am Kreditvergabeprozess des Bankensektors ab, Nachhaltigkeit ist zu einem Wettbewerbsfaktor auch im Bankensektor selbst geworden. Und Kreditrisiken werden, so ist zu befürchten, werden gerade wiederentdeckt. Es bleibt also auch 2024 spannend für die Banken.

Quellen und weiterführende Hinweise
Konrad Wimmer

Prof. Dr. Konrad Wimmer

ist promovierter Diplom-Kaufmann und bei msg for banking für die strategische Themenentwicklung verantwortlich. Sein Fokus liegt auf den Themen Sustainable Finance, Bankcontrolling, Finanzmathematik, Geschäftsfeldsteuerung, wertorientierte Vertriebssteuerung und Risikomanagement. Er berät Banken zu diesen Themen und ist erfahrener Referent und Autor.

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