Fachartikel

Bedeutung nachhaltiger Faktoren im Rating und Pricing

Die Covid-19-Pandemie und ihre Folgen haben die Transformation der Gesellschaft und Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit auf den ersten Blick verzögert. Auf den zweiten Blick stellt man jedoch fest, dass die Entwicklung Fahrt aufgenommen hat.

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Auszug aus dem Fachartikel „Bedeutung nachhaltiger Faktoren im Rating und Pricing“

Die Covid-19-Pandemie und ihre Folgen haben die Transformation der Gesellschaft und Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit auf den ersten Blick verzögert, wenn nicht gar gebremst. Auf der Tagesordnung fanden sich seit Anfang 2020 dringlichere Punkte. Auf den zweiten Blick stellt man jedoch fest, dass die Entwicklung Fahrt aufgenommen hat. Mehr noch: Die gewaltigen Finanzmittel, die die Politik investiert, um die wirtschaftlichen Pandemieeffekte zu mildern beziehungsweise zu kompensieren, fungieren als eine entscheidende Weichenstellung. Ziel muss es sein, die Finanzströme in erster Linie in nachhaltige Investitionsobjekte zu lenken. Nach der aktuellen starkregenbedingten Hochwasserkatastrophe Mitte Juli 2021 in NRW, Rheinland-Pfalz und im Süd-Osten Bayerns gilt dies erst recht für den notwendigen Wiederaufbau der Infrastruktur.

Erst Anfang Juli dieses Jahres veröffentlichte die Europäische Zentralbank zusammen mit dem ESRB (Europäische Ausschuss für Systemrisiken) die Studie „Climate-related risk and financial stability“,1 in der auf das in Deutschland gestiegene Risiko für Überschwemmungen hingewiesen wird. Darauf müssen sich private Haushalte, Versicherungen und Banken vorbereiten. Circa 30 Prozent des Kredit-Exposures im Euroraum sind an nichtfinanzielle Unternehmen vergeben, die für mindestens einen physischen Risikotreiber ein hohes oder ein steigendes Risiko haben.

Folgen für Deutschland

Die Mitte Juni erschienene Klimawirkungs- und Risikoanalyse 2021 des Bundesumweltamtes für Deutschland (KWRA 2021) beschreibt die Klimarisiken bezogen auf Deutschland. Unter anderem nennt die Studie – leider fast wie eine Prophezeiung – Starkregen und damit verbundene Überschwemmungen, die Gebäude, Anlagen und Verkehrswege bedrohen. Der Analyse können auf Deutschland bezogen die prognostizierten Konsequenzen für die Bereiche naturnutzende Wirtschaftssysteme, naturferne Wirtschaftssysteme, natürliche Ressourcen, Infrastrukturen und Gebäude sowie Menschen und soziale Systeme mit und ohne Anpassungsmaßnahmen entnommen werden. Leider gilt zusammen fassend: „Klimawirkungen aus dem Systembereich ‚Natürliche Systeme und Ressourcen’ haben viel häufiger ausgehende Wirkbeziehungen, das heißt sie sind vorgelagert und wirken auf nachgelagerte Klimawirkungen in anderen Systembereichen ein. Mehr als die Hälfte aller ausgehenden Wirkbeziehungen entfallen auf diesen Systembereich.“2

Eine klimapolitische Lösung, um die physischen Risiken des Klimawandels noch soweit wie möglich zu begrenzen, ist deshalb so schwer zu finden, da es sich beim Klima im wirtschaftswissenschaftlichen Sinn um ein öffentliches Gut handelt. Niemand kann vom Konsum dieses Produkts ausgeschlossen werden. Beim Konsum liegt eine Nichtrivalität vor. Das heißt, wenn Menschen unter guten klimatischen Bedingungen leben, steht anderen Menschen dadurch nicht unmittelbar weniger gutes Klima zur Verfügung.

Klassisches Marktversagen

Diese Eigenschaften des öffentlichen Guts Klima führen zu den seit vielen Jahrzehnten bekannten Fehlanreizen für die Marktakteure. Agieren die einzelnen Verbraucher  finanzwirtschaftlich rational, so verursacht eine Anpassung an einen nachhaltigeren Lebensstil zunächst nur Kosten, denen „heute“ unmittelbar kein finanzwirtschaftlicher Nutzen gegenübersteht. Dieser tritt, wenn überhaupt, erst in einer mehr oder weniger fernen Zukunft ein. Ökonomisch betrachtet haben die Marktakteure somit unter diesem Aspekt kaum einen Anreiz für ökologisches Handeln. Es liegt ein klassisches Marktversagen vor, da externe Effekte nicht entsprechend internalisiert werden: negative Auswirkungen ökonomischer Produktions- und Konsumentscheidungen zu Lasten Dritter bleiben bislang überwiegend ohne finanzielle Kompensation, obwohl die Produktion und der Konsum dieser Produkte durch den CO2– beziehungsweise Methan-Ausstoß das Klima schädigen.

Oder kurzgefasst: Die Folgen des Klimawandels sind nicht im Flugticket oder im Fleischpreis enthalten. Neben dieser zeitlichen Dimension erschwert die räumliche Verteilung der Auswirkungen des eigenen Handelns die Lage, da diese erst einmal nicht im direkten Umfeld des Akteurs spürbar sein werden, sondern sich in entfernten Regionen abspielen. Die Konsequenzen des eigenen Handelnswerden zeitlich und regional so verschoben, dass sie schlicht als nicht relevant eingestuft werden. Wie aber kann das klassische Marktversagen korrigiert werden?

Erstens kann ein Bewusstseinswandel in der Gesellschaft zur Ächtung nicht ökologischen Handelns führen. Dies verändert die rein finanzwirtschaftliche Rationalität zugunsten eines ganzheitlichen Rationalitätsbegriffs. Soweit erkennbar, findet dieser Prozess gerade bei der jüngeren Generation statt. Inwieweit dieser Prozess überhaupt zu einer Veränderung des Konsum- und Investitionsverhaltens führt und wie lange dieser Prozess dauert, um ökologische Wirkungen zu entfalten, ist schwer abschätzbar.

Zweitens können verbindliche staatliche Vorgaben in Form von Ge- beziehungsweise Verboten Verhaltensweisen verändern. Auf die Kreditvergabeentscheidung von Banken übertragen, dürften beispielsweise nicht grüne Investitionen nicht mehr durchgeführt werden. Derartige Vorgaben sind jedoch politisch kaum durchsetzbar und könnten als Bevormundung der Bevölkerung verstanden werden.

Drittens kann ökologisches (nicht ökologisches) Verhalten belohnt (bestraft) werden, zum Beispiel über günstigere (höhere) Preise. Auf die Kreditvergabeentscheidung von Banken übertragen wären beispielsweise nicht grüne Investitionen nur zu höheren Kreditzinsen finanzierbar, weil die Kreditgeber höhere Adressausfallrisiken einpreisen müssten. Dieser Weg hat den Vorteil, sehr schnell wirksam werden zu können. Die Lenkung über die Preisveränderung hat zudem den Vorteil, dass sie konform zu den marktwirtschaftlichen Prinzipien ist.

Seit Januar 2021 gibt es mit der neuen CO2-Steuer in Deutschland ein staatliches Instrument, um externe negative Effekte, die bei der Emission von CO2 entstehen, zu internalisieren. Das heißt, die Kosten für zum Beispiel Benzin oder Heizöl steigen, was zu einem Marktgleichgewicht bei geringerem Konsum führen sollte. Durch die Einnahmen könnten die Leidtragenden der externen negativen Effekte entschädigt werden. Kritischen Studien zufolge ist der aktuelle Preis mit 25 Euro pro Tonne in 2021 jedoch zu niedrig, um bereits eine Lenkungswirkung zu entfalten.3 4 Immerhin ist dies der richtige Schritt, externe Effekte zu internalisieren.

Eine vierte Möglichkeit, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, bieten Innovationen und technischer Fortschritt. Diese müssen jedoch finanziert werden, was ebenfalls unmittelbar die  Kreditvergabeentscheidung der Kreditinstitute betrifft. Die Finanzströme werden in die richtige Richtung gelenkt und daran zeigt sich der bedeutsame Einfluss der Finanzwirtschaft auf die Lösung des Klimaproblems.

Mehr noch: Durch die bewusste Annahme dieser neuen Rolle als konsequente Finanzierer nachhaltiger Investitionen entstehen für die Kreditinstitute neue Marktchancen durch die Anpassung ihres Geschäftsmodells. So können neue Kundengruppen erschlossen werden, neu gestaltete Produkte zu höheren Margen führen, aber auch Mitarbeiter gewonnen beziehungsweise gehalten werden. Institute, die diesen Weg beschreiten, generieren Wettbewerbsvorteile.

Banken mit Schlüsselposition

Die Kreditwirtschaft nimmt offensichtlich eine Schlüsselrolle bei der Transformation ein, da die Kreditvergabeentscheidung ausgezeichnet geeignet ist, zwischen – plakativ formuliert – grünen und grauen Investitionen zu selektieren. Seit 2019 wird dies verstärkt durch die deutsche und die europäische Bankenaufsicht betont. Auf das BaFin-Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken Ende 2019 für national beaufsichtigte Institute folgte im November 2020 die finale Version des „Leitfaden zu Klima- und Umweltrisiken“ der EZB.5

In diesem Leitfaden formuliert die EZB dreizehn Erwartungen an bedeutende, von der EZB direkt beaufsichtigte Institute im aufsichtlichen Dialog. Zum Beispiel sollen die Institute Klima- und Umweltrisiken in ihre Geschäftsstrategie aufnehmen und kurz-, mittel- sowie langfristige Auswirkungen auf ihr Geschäftsmodell analysieren. Das Rahmenwerk für den Risikoappetit und für das Risikomanagement soll explizit auch Klima- und Umweltrisiken enthalten. Zuständigkeiten für die Steuerung sollten entsprechend geregelt sein. Explizit erwähnt der Leitfaden auch den Kreditgewährungsprozess, bei dem in allen relevanten Stufen Klima- und Umweltrisiken einbezogen und überwacht werden sollen.

Daraus ergibt sich für den gesamten Kreditprozess ein Anpassungsbedarf. Instrumente zur Messung der Klima- und Umweltrisiken müssen bei den Banken entwickelt und neue Datenquellen integriert werden. Bereits seit 30. Juni 2021 sind die Leitlinien des Final Report on Guidelines on loan origination and monitoring6 in Kraft getreten. Durch die Leitlinien soll die Qualität der Neukredite bei europäischen Instituten gesteigert werden. Neben Vorgaben zum Konsumentenschutz und zur Geldwäschebekämpfung sollen gemäß Tz. 56 die Institute ESG-Faktoren (ESG = Environment, Social and Governance – Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) und damit verbundene Risiken in ihre Strategien für den Kreditrisikoappetit, die Kreditrisikoneigung und das Kreditrisikomanagement sowie in ihre Strategien und Verfahren für das Kreditrisiko aufnehmen.

Außerdem sollen die Institute qualitative und quantitative Ziele fixieren, um die Vergabe ökologisch nachhaltiger Kredite zu fördern (Tz. 59). Außerdem sollen die mit ESG-Faktoren verbundenen Risiken des Kreditnehmers Eingang bei der Kreditvergabeentscheidung finden (Tz. 126, 146). Bei einem erhöhten ESG-Risiko ist das aktuelle Geschäftsmodell des  Kreditnehmers eingehender zu analysieren, zum Beispiel in Bezug auf die tatsächlichen und geschätzten Treibhausgasemissionen und die voraussichtlichen Auswirkungen von ESG-Vorschriften auf die Finanzlage des Kreditnehmers (Tz. 149).

Quellen
Fachartikel Bedeutung nachhaltiger Faktoren im Rating und Pricing

Bedeutung nachhaltiger Faktoren im Rating und Pricing

Unsere Experten zeigen, wie eine nachhaltige Beurteilung von Investitionsobjekten hilft, zukünftig ökonomische Fehlbewertungen zu vermeiden.

Veröffentlicht in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen 15-2021

 

Sustainable Banking, ESG-Risiken, Nachhaltigkeit

Sustainable Banking

Nachhaltigkeit ist aus der Branche Banking nicht mehr wegzudenken. Treiber sind zum einen die Initiativen von Gesetzgebern und Regulatoren. Aber auch Kunden stellen vermehrt nachhaltige, umweltfreundliche und klimaschonende Aspekte in den Mittelpunkt ihrer Finanzentscheidungen. Um den langfristigen ökonomischen Erfolg zu sichern sowie die regulatorischen Hürden zu meistern, müssen Banken frühzeitig ihre Geschäftstätigkeit auf Nachhaltigkeitsziele ausrichten und fit sein für den Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken.

Wie sieht die optimale Vorbereitung auf eine nachhaltige Zukunft in der Branche Banking aus? Dieser Frage gehen wir in unserer Serie Sustainable Banking auf den Grund. Mehr Informationen zu diesem Zukunftsthema finden Sie auf unserer Webseite.

Konrad Wimmer

Prof. Dr. Konrad Wimmer

ist promovierter Diplom-Kaufmann und bei msg for banking für die strategische Themenentwicklung verantwortlich. Sein Fokus liegt auf den Themen Sustainable Finance, Bankcontrolling, Finanzmathematik, Geschäftsfeldsteuerung, wertorientierte Vertriebssteuerung und Risikomanagement. Er berät Banken zu diesen Themen und ist erfahrener Referent und Autor.

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